Ludwig van Beethoven – Das Prometheus Projekt

Ludwig van Beethoven war zwei Jahre alt, als Johann Wolfgang Goethe in einer Hymne die sagenhafte Prometheus-Gestalt, um die es seit dem Mittelalter still geworden war, wieder zu literarischem Leben erweckte. Der laut griechischer Überlieferung aus dem Göttergeschlecht der Titanen stammende, gegen die Schöpfungsordnung aufbegehrende Empörer, hatte den Menschen das Feuer gebracht, um sie zur Selbständigkeit zu befähigen. Ende des 18. Jahrhunderts wurde er nun erneut zum Idol einer Generation, die sich von überkommenen Machtstrukturen und Autoritäten zu befreien trachtete, und – Prometheus gleich – die Menschheit von Tyrannei befreien wollte, in diesem Falle durch das Licht der Aufklärung.

Einer der entschiedensten und konsequentesten Verfechter dieser Bestrebung war auf musikalischem Gebiet Ludwig van Beethoven, dessen Schaffen schon von den Zeitgenossen als „von prometheischem Feuer erfüllt“ charakterisiert wurde. Im seinem Schaffen spielt der prometheische Gedanke von Anfang an eine herausragende Rolle; seine Werke tragen jenen Feuerkern in sich, den Prometheus in die Menschen senkte, und den Beethoven in seiner Musik zu Salvatore Viganòs Ballett Die Geschöpfe des Prometheus im Jahre 1801 zum ersten Mal gleichsam programmatisch entzündete. Und es ist erstaunlich, wie viele Spuren er in dieser Ballettmusik, die am Beginn seines sinfonischen Schaffens steht,legte, um sie dann in seinen Sinfonien aufzugreifen und konsequent weiterzuverfolgen. Die Musik des Prometheus-Balletts trägt über die von der Forschung früh aufgedeckten Bezüge zur Eroica betitelten dritten Sinfonie hinaus die Keime zu sämtlichen neun Sinfonien Beethovens in sich.

Goethes Prometheus verabschiedet sich am Ende der Hymne mit folgenden Worten:

Hier sitz’ ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen,
Genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!

Und es ist dieses „Menschen formen“, worum es Beethoven in seinem Werk von Anfang an zu tun war. In einer Rezension des Balletts vom 19. Mai 1801 in der Zeitung für die elegante Weltheißt es: „Prometheus entreißt die Menschen seiner Zeit der Unwissenheit, verfeinert sie durch Wissenschaft und Kunst und erhebt sie zur Sittlichkeit. Dies ist kürzlich das Sujet.“ Geboren in einer Zeit des Um- und Aufbruchs, in der Weltentwürfe und Erlösungs-versprechen gescheitert waren, in einer Welt der Orientierungslosigkeit und des Suchens nach neuen Werten, trat Beethoven mit einem völlig neuen Bewusstsein von der Aufgabe der Kunst sowie der Selbstbestimmung und -formung als Künstler und Schöpfer an die Öffentlichkeit. Öffentliche Konzerte boten in seinen Augen ein Forum, in dem es nicht länger darum ging, gehobene Unterhaltungen zu veranstalten, sondern gesellschaftlich und politisch relevante Themen ins Bewusstsein der Zuhörer zu rücken, ihnen im Sinne Schillers eine „ästhetische Erziehung“ angedeihen zu lassen.

Pointiert gesagt variiert Beethoven in seinen neun Sinfonien das Thema Menschsein und den damit verbundenen Freiheitsgedanken aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln, denen der von Kant formulierte Wahlspruch der Aufklärung, „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!”, in aller Deutlichkeit eingeschrieben ist. Der Konzertsaal war seine Akademie im platonischen Sinne, um seine Ideen mit allem Nachdruck vorzutragen, die Menschen aufzurütteln und zu ermutigen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

„Musik und Rhythmus finden ihren Weg zu den geheimsten Plätzen der Seele“
Platon

Apropos Platon: Dieser entwickeltein seiner Beschäftigung mit dem Prometheus-Mythos zuerst die Vorstellung des Titanen als Menschenformer, dessen Rebellion gegen die göttliche Ordnung ihn zugleich in den Rang eines Schöpfers erhebt. Wir wissen, dass Beethoven über eine umfangreiche Privatbibliothek verfügte, in der sich neben Werken der zeitgenössischen Dichter und Denker auch die Größen der antiken und europäischen Geistesgeschichte fanden. In Hinblick auf Beethovens lebenslange Bemühungen um die der Gestalt des Prometheus innewohnenden philosophischen Idee, spielt die Lektüre von Platons Schriften eine offenbar besondere Rolle, in erster Linie dessen Ideenlehre. Dieser zufolge sind Ideen das, was man nicht mit den Sinnen, sondern nur mit dem Geist erkennen kann. Als höchste Idee galt Platon die Idee des Guten, die er in Zusammenhang mit seiner Vorstellung eines idealen Staates in seinem Dialog Politeía entwickelte und der wir gleichfalls im Zeitalter der Aufklärung u.a. in den Schriften Goethes und Schillers als Kampf für das Gute wiederbegegnen. Auch Beethovens Vorstellung von Freiheit, vom Kampf für das Gute, sind Ideen im platonischen Sinn.

Und beide treffen sich in der Überzeugung, dass es einer speziellen zwischenmenschlichen Kommunikation bedarf, um diese aus der Philosophie heraus gespeisten Ideen zur sinnlichen Erfahrung zu bringen. Platon bediente sich der Form des Dialogs, der „vermöge der langen Beschäftigung mit dem Gegenstande und dem sich hineinleben, wie ein durch einen abspringenden Feuerfunken plötzlich entzündetes Licht in der Seele sich erzeugt und dann durch sich selbst Nahrung erhält.“ (Siebenter Brief) Diese durchaus prometheische Idee, in einer empfangsbereiten Seele Funken zu schlagen, um darin durch geistige Mitarbeit der Zuhörerschaft ein Feuer für das Gute zu entfachen, bewegte auch Beethoven bei der Erschaffung seines sinfonischen Kosmos’: „Die Musik soll keine Tränen hervorlocken, sie soll dem Manne Feuer aus dem Geist schlagen“, äußerte er bereits am 21. Juni 1796 nach einem Konzert in der Berliner Singakademie.

Von seinem ersten öffentlichen Auftritt als Schöpfer sinfonischer Werke an, beschreitet Beethoven konsequent einen offenbar genau kalkulierten Weg, getreu der Maxime „allein Freyheit, weiter gehn ist in der Kunstwelt, wie in der ganzen großen schöpfung, zweck“ (Brief vom 29. Juli 1819 an Erzherzog Rudolph), wobei sich sein persönliches „weiter gehn“ natürlich auch in der kompositorischen Entwicklung widerspiegelt. Von Anfang an aber ist der unbändige Wille zu spüren, eine Botschaft zu übermitteln. Schon 1793 schreibt Bartholomäus Fischenich an Charlotte von Schiller nach einem Gespräch mit Beethoven: „Er [Beethoven] wird auch Schiller’s Freude und zwar jede Strophe bearbeiten. Ich erwarte etwas Vollkommenes, denn so viel ich ihn kenne, ist er ganz für das Große und Erhabene.“ Bekanntlich fand diese „Bearbeitung“ dann 30 Jahre später im Finalsatz der Neunten statt.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass der Versuch, Beethovens Schaffen in drei Phasen einzuteilen, unter dem Aspekt dieser das gesamte Werk bestimmenden philosophischen Ur-Idee wenig Sinn macht. Insbesondere die Einordnung der ersten beiden Sinfonien als leichtgewichtige Frühwerke in der Nachfolge Haydns und Mozarts ist ärgerlich, da sie alle grundlegenden Merkmale von Beethovens späteren sinfonischen Werken in sich tragen.

In einer Zeit, die Beethoven als „wüst“ beschrieb – „Welch zerstörendes wüstes Leben um mich her nichts als trommeln Kanonen Menschen Elend in aller Art“ (Brief an Breitkopf und Härtel, 26. Juli 1809) – sucht er nach Definitionen und Antworten auf das ihn zeitlebens beschäftigende Thema des Menschseins, speziell die Freiheit des Menschen betreffend, als da sind die individuelle und die kollektive Freiheit, die Freiheit zur Entscheidung über sein eigenes Schicksal durch den eigenen Willen, die Freiheit politisch und religiös Stellung zu beziehen, die Freiheit zur Disziplin, aber auch zum Übermut. Beethoven, der über sich selber gesagt hat, er habe aufgrund seiner früh einsetzenden Taubheit zum Philosophen werden müssen und sich stets um Weiterbildung bemüht. Die Freiheit auch dazu. Und eben die Freiheit, wie sie Prometheus für sich reklamierte aus dem Bewusstsein heraus, selbstverantwortlich tätig werden zu müssen, um die Menschheit in eine bessere Zukunft zu führen.

 

Franz Welser-Möst © Julia Wesely
© Julia Wesely

„Es gibt in der Kunst keine Regel,
 die nicht durch eine höhere aufgehoben werden könnte.“
Ludwig van Beethoven

Die Ouvertüre zu Prometheus wie auch seine erste Sinfonie eröffnet Beethoven mit einem musikalischen Fragezeichen, dem Dominantseptakkord der Grundtonart, und stellt damit wie ein Philosoph vom Zuschnitt eines Kants alles Vorangegangene in Frage. Überblickt man den gesamten sinfonischen Kosmos Beethovens, so begegnet man diesem Fragezeichen, in verschiedenen musikalischen Parametern immer wieder neu und anders formuliert, in jedem Beginnen. Ein Blick auf Platons Dialoge zeigt verblüffende Parallelen. In David Richard Prechts 2015 veröffentlichtem ersten Band einer Geschichte der Philosophie, „Erkenne die Welt“, beschreibt der Autor Platons Vorgehensweise wie folgt: „Wo zuvor zahlreiche Werke mit dem Titel Über die Natur die Welt physikalisch und philosophisch mit Ausrufezeichen erklärten, regiert in Platons Dialogen das Fragezeichen … Er bemüht sich um Definitionen. Was ist das Schöne? Was ist das Gute? Was ist Tapferkeit? Was ist Freundschaft? Usw. Definitionen sollen das Wesen der Sache zu fassen kriegen. Denn wenn ich etwas vernünftig und im Ausräumen aller Zweifel definiere, so ist es dann auch. Etwas mit Worten richtig zu definieren bedeutet, das wahre Sein einer Sache zu erkennen.“

Ebenso verfährt Beethoven in seinem Medium, der Musik. Die Idee des Variierens als Möglichkeit, einer Sache durch Hinterfragen, wechselnde Beleuchtungen und immer wieder neue Formen des Kombinierens mit anderen Zusammenhängen – Natur, Religion, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – auf den Grund zu kommen, bleibt Hauptbestandteil in Beethovens Umgang mit seinem musikalischen Material und beginnt bereits bei der Suche nach Motiven und Themen. Aus den Skizzen ersieht man die Art und Weise, wie er um diese regelrecht gerungen hat. Erst wenn er sicher war, die zur Exposition gedachten Ideen auf ihre Substanz reduziert zu haben, schickte er sie „in den Kampf“.

Das führte zu einer grundsätzlich anderen Sicht auf das Wesen der sinfonischen Arbeit. Die tradierte Gegenüberstellung zweier Themen – ein „männlich“ kraftvolles Hauptthema gegen ein lyrisch „weibliches“ Seitenthema – spielt in Beethovens Denken kaum noch eine Rolle. Der Gegensatz, der Kernkonflikt, wohnt jedem einzelnen musikalischen Gedanken, oft nur ein Motivpartikel, a priori inne und verlangte nach einer Synthese. Damit wächst den Formteilen der von Beethoven den meisten Sätzen zugrunde gelegten Sonaten-hauptsatzform – Exposition, Durchführung und Reprise – völlig neue Bedeutung zu und entzieht sich den im Nachhinein als für die Wiener Klassik definierten Regeln.

Zugrunde liegt den Sinfonien ein ausgeklügelter harmonischer Gesamtplan, der offensicht-lich darauf abzielte, die Zuhörerschaft auf vertrautem Gebiet „abzuholen“. D. h. Beethoven entschied sich bei seinen Sinfonien für vergleichsweise einfache, im damaligen Bewusstsein klar im Ausdrucksgehalt definierte Tonarten (es sind dies nach Häufigkeit gelistet die Tonarten F-Dur/d-Moll, B-Dur, Es-Dur/c-Moll, C-Dur/a-Moll, D-Dur, A-Dur, As-Dur/f-Moll), mit denen er dem jeweiligen Werk seine Grundfarbe und -stimmung vorgab. Wenn man sich die Grundtonarten der Sätze in Beethovens Sinfonien ansieht, fällt auf, dass es ihn von C-Dur, dem Zentrum des Tonartenzirkels, mehr in Richtung jener Tonarten zieht, die ein b vorgezeichnet haben: 25 Sätze stehen in b-Tonarten gegenüber sieben in Kreuztonarten. Das überrascht bei einem Komponisten, dessen Werke vornehmlich als klassisch, heldisch oder revolutionär eingestuft werden, während die von ihm in den Sinfonien eindeutig bevorzugten b-Tonarten in das Reich der Romantik verweisen.

„Jeder Ton ist entweder gefärbt, oder nicht gefärbt. Unschuld und Einfalt drückt man mit ungefärbten Tönen aus. Sanfte, melancholische Gefühle mit B Tönen;
 wilde und starke Leidenschaften mit Kreuztönen.“
Christian Friedrich Daniel Schubart

Das am häufigsten von Beethoven in den Sinfonien verwendete F-Dur steht für Poesie, Natur, religiöses Naturempfinden, Anmut und auch Humor. Dazu die Schattenseite der Tonart, das verwandte d-Moll, oft gebraucht als „Todestonart“, Dunkelheit und auch Zweikampf repräsentierend. Wir denken an den damals aufkommenden Pantheismus – die Natur, die den Tod miteinschließt, und der Glaube an sie. Die Poesie der Sechsten(mehr „Ausdruck der Empfindung als Malerey“, die dankbaren Gefühle an die Gottheit), der Humor der Achten, die sich aber auch manchmal am romantischen Rückblick erfreut (im ersten Satz die Erinnerungen an die Eroica, im 3. Satz an das alte Menuett mit an Schumann erinnernden Ausblicken im Trio), aber auch der sanfte Humor im zweiten Satz der Ersten. Und der Tod oder der Hinweis auf denselben in den ersten beiden Sätzen der Neunten – im ersten Satz nur unterbrochen von Ausblicken auf den „Brüdergesang“ des letzten Satzes und der Umkehrung des Anfangsthemas des Adagios, in dem von Hoffnung auf Erhabenheit geträumt wird.

An zweiter Stelle der Häufigkeit steht das in sechs Sätzen verwendete B-Dur, die Tonart der Hoffnung, Erholung, Tiefgründigkeit, aber auch Humor im Sinne Jean Pauls repräsentierend als die andere Seite von Erhabenheit – ein Begriff, der im aus-gehenden 18. Jahrhundert eingeführt wurde, um ein spirituelles Gefühl zu beschreiben ohne einen Gott zu bemühen.

Aus der dunkelsten Einleitung, die Beethoven (neben der Einleitung zur Egmont– Overtüre und zur Arie des Florestan im Fidelio) je geschrieben hat, führt er uns im ersten Satz der 4. Sinfonie zu überschäumendem Humor, den er auch im dritten und vierten Satz dieser Sinfonie zeigt und in verschmitzterer Art im zweiten Satz der Achten. Die andere Seite dieser Medaille im Sinne Jean Pauls zeigt er uns in tief romantischer Weise im zweiten Satz der Sechsten: Erhabenheit im Angesicht der Natur! Und im dritten Satz der Neunten kontempliert Beethoven über die Hoffnung mit zwei ausgedehnten Variationen über ein Thema, das in sich schon kontemplativ ist. Zwischen Thema und die beiden Variationen stellt er Abschnitte, die eine von tiefer Sehnsucht geprägte Melodie vorführen, eine Melodie, die sozusagen keinen Anfang, aber vor allem kein Ende hat. Sehnsucht – DAS prägende Wort für die deutsche Romantik!

Die Tonart Es-Dur bzw. c-Moll folgt an dritter Stelle. Es-Dur gilt als die von Mozart bereits intensiv gebrauchte Freimaurer-Tonart. Drei b sind vorgezeichnet für die Ideale Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Es-Dur steht darüber hinaus für das Heroische, den Kampf des Geistigen und für das Feierliche. Die Eroica, einem Helden gewidmet, einem Helden, der für solche Ideale steht, führt uns dies im ersten, dritten und vierten Satz vor. In letzterem Satz verwendet Beethoven als klaren Hinweis auf die Thematik dieser Sinfonie das Final-Thema aus seinem Ballett Die Geschöpfe des Prometheus, zugleich ein Verweis auf seine eigene Person, den Schöpfer dieser Sinfonie, der sich selber als solch ein Prometheus sah. Die Würde eines Menschen, die für Beethoven unabdingbar mit diesen Idealen verbunden ist, wird zudem im zweiten Satz der Vierten abgehandelt. Das verwandte c-Moll hingegen symbolisiert im Trauermarsch der Dritten den Tod dieses Helden (des Menschen an sich), die Überwindung des Todes (siehe C-Dur) sowie den Abschied von diesem Helden. Im ersten und dritten Satz der Fünftenbeinhaltet dieses c-Moll die finstere seelische Tiefe und das Feuer, durch das dieser Held hindurchmuss. Das Feuer (siehe Prometheus, der den Menschen das Feuer bringt!) verstanden auch als Reinigung, derer es bedarf, um zu einem vollgültigen Menschen zu werden.

Das C-Dur, das Beethoven für vier seiner Sinfoniesätze wählte, wurde in der Barockzeit noch als göttlichste, weil – ohne Vorzeichen – reinste Tonart angesehen. An der sich ändernden Verwendung dieser Tonart lässt sich der Wandel in der Philosophie des ausgehenden 18. Jahrhunderts ablesen: Kant schiebt 1781 den lieben Gott bereits zur Seite, stattdessen beansprucht ein neues Selbstverständnis des Menschen mehr und mehr Raum. Der Mensch begreift sich nicht nur als vernunftbegabtes Wesen, sondern sieht in sich auch die Kraft (das Feuer), sein Leben und sein Schicksal selbst zu bestimmen. Sein Wille und seine Vorstellung sind jetzt zur Bewältigung dieser Welt gefragt. Die jugendliche Feuerseele findet sich in diesem C-Dur der 1. Sinfonie Beethovens. Das „Hinaufstürmende“ des ersten Satzes prägt gleichermaßen den dritten und vierten Satz dieser Sinfonie und wird dann im letzten Satz der Fünften mit dem Zitat eines französischen Revolutionsliedes nochmals ins Übermaß gesteigert. Die parallele Moll-Tonart zu C-Dur, a-Moll – eine sehnsüchtige, poetische, lyrische Tonart – behielt sich Beethoven für den zweiten Satz der Siebenten vor. Dieser beginnt und endet mit einem Wehklang, der bereits die Klangwelt eines Robert Schumann vorwegnimmt. Eine Art altgriechischer Schreittanz führt die Melancholie dieses ersten Akkordes weiter, unterbrochen von einem lichten Gesang in A-Dur.
Die gleiche Häufigkeit wie Es-Dur und C-Dur beansprucht in Beethovens neun Sinfonien D-Dur, die stärkste aller Tonarten, die neben Jubel auch das Erreichen höchster Ziele und das Empordringen zu höchstem Licht darstellt. In der 2. Sinfonie als Grundtonart gewählt, untersucht er in diesem Werk bereits all jene Qualitäten, die im letzten Satz der Neunten zur Vollendung gebracht werden.

Drei Mal begegnet uns A-Dur, die hellste, lichteste, leichteste Tonart, die auch seelische Ekstase und Entzücken ausdrücken kann. So ist der zweite Satz der Zweiten ein lichtdurchfluteter, leichter, langsamer Tanz, der kantabel schwebt.
Weiterentwickelt wird das von Beethoven in der siebenten, von Wagner als „Apotheose des Tanzes“ bezeichneten Sinfonie, wobei Tanz als Ausdruck der Selbstbestimmung des Menschen verstanden werden muss.

Einmal nur verwendet er As-Dur, eine dunkle, Verinnerlichung darstellende Tonart, die den Höhepunkt der deutschen Romantik versinnbildlicht: Das Zusammentreffen von Tristan und Isolde im zweiten Akt von Wagners Oper steht in As-Dur. Im zweiten Satz der Fünften, innerhalb der c-Moll Kadenz als Trugschluss (!) gesehen, führt uns dieses As-Dur in wienerischen Rhythmen wiegend in eine Welt, in der das klare Licht des C-Dur des Finales herbeigesehnt wird.

Die parallele Moll-Tonart f-Moll schildert finstere Seelenstürme, auch nur einmal von Beethoven verwendet im berühmten Gewitter der Pastorale, das ebenso wie in den anderen Sätzen dieser Sinfonie nicht die Natur darstellt, sondern das Empfinden beim Anblick derselben.

„Mensch werden ist eine Kunst.”
Novalis

Beethovens Musik in ihren historischen Entstehungszeitrahmen zu verbannen, ist ein fataler, prinzipieller Fehler schon im Ansatz. Die engen Bezüge Beethovens zur griechischen Philosophie, die Überzeugung, mit seiner Musik die Welt zum Guten verändern zu können, sein revolutionärer Aufbruch in eine von Freiheit und Gleichheit bestimmte menschliche Gemeinschaft belegen, dass man seine Werke nicht mehr mit dem inflationär sich ausbreitenden Begriff „historisch informiert“ aus der Sicht der Barockzeit heraus spielen kann. Man muss philosophische Maßstäbe zugrunde legen, auch in dem Sinne, dass Philosophie immer auf das Ganze zielt, während die Historie sich nur mit Besonderheiten auseinandersetzt. Es geht nicht um Text-, sondern um Werktreue. Das Bemühen um sogenannte Authentizität bedeutet eine unangemessene historische Distanz, die den Werken Beethovens, deren Botschaft immer noch und heute mehr denn je in die Herzen der Menschen gesenkt zu werden verlangt, nicht gerecht werden kann. Spezialisierung ist in diesem Sinne zugleich Denaturierung, was dem Wesen einer Musik widerspricht, die die Vergangenheit reflektierend zu völlig neuen Ufern aufbricht und das Tor nicht nur in die Romantik öffnete, sondern Entwicklungen vorausgreift, die nachfolgende Generationen einzulösen sich immer noch bemühen.

Franz Welser-Möst/Ronny Dietrich